Seit einigen Wochen kursiert bei Kindern und Jugendlichen die Angst vor dem sog. Artikel 13. Werden nun tatsächlich beliebte YouTuber/innen gesperrt und das Internet gelöscht?
Was ist der Artikel 13?
Bereits Anfang September diesen Jahres wurde im Europäischen Parlament eine Abstimmung zur geplanten Urheberrechtsreform durchgeführt. Dabei wurde auch der inzwischen in der breiteren Öffentlichkeit bekannte Artikel 13 (des Entwurfs der Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt) angenommen. Dieser besagt, dass große Online-Plattformen (wie zum Beispiel YouTube, Facebook etc.), auf denen sich nutzergenerierte Inhalte befinden, Maßnahmen ergreifen müssen, um Urheberrechtsverletzungen zu verhindern. Dabei soll es nicht mehr wie bisher ausreichen, Inhalte erst dann von einer Plattform zu entfernen, sobald diese aufgrund einer Urheberrechtsverletzung beanstandet werden. Zukünftig sollen Urheberrechtsverletzungen bereits vorab erkannt und verhindert werden. Im beschlossenen Richtlinienentwurf wird zwar nicht das Wort „Upload-Filter“ verwendet, der Einsatz von Filter-Software ist aber angesichts der großen Anzahl an Inhalten wahrscheinlich die einzige Möglichkeit dies in der Praxis umzusetzen.
Rund um diese Urheberrechtsnovelle laufen derzeit intensive Verhandlungen. Wie genau die finalen Regelungen aussehen werden, ist also noch nicht endgültig absehbar. Bis die Urheberrechtsreform in nationales Recht umgesetzt und somit tatsächlich anwendbar ist, wird es voraussichtlich noch bis 2021 dauern.
Um was geht es in der Debatte?
Vereinfacht dargestellt gibt es in dieser Debatte (manche Beobachter/innen sprechen gar von einer „Lobbyingschlacht“) folgende Hauptinteressen:
Zum einen gibt es die Interessen der Rechteinhaber/innen, die sich einen Rückgang an Urheberrechtsverletzungen auf den großen Plattformen erhoffen. Sie könnten in Zukunft bei Urheberrechtsverletzungen direkt die Plattformbetreiber/innen klagen und müssen sich nicht mehr an die Plattformnutzer/innen wenden, was einfacher ist.
Zum anderen gibt es die Interessen der Plattformbetreiber/innen, die neue, kostspielige Pflichten und Haftungsrisiken verhindern wollen.
Abseits der wirtschaftlichen Interessen gibt es die Sorge unter Internetnutzer/innen, dass Filter-Software nachteilige Auswirkungen auf die Freiheit im Internet, die Vielfalt der Netzkultur und damit auch auf die digitale Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen haben kann. Dahinter steckt einerseits die Befürchtung, dass Plattformen, um Haftungsrisiken zu vermeiden, im Zweifel mehr Inhalte als tatsächlich notwendig blockieren. Andererseits passieren, wenn komplexe rechtliche Entscheidungen an automatische Filter übergeben werden, auch Fehler. Zum Beispiel ist die erlaubte Verwendung von urheberrechtlich geschützten Inhalten im Zusammenhang mit Satire und Zitaten automatisiert nur sehr schwer zu beurteilen. Es wird auch befürchtet, dass die bei Kindern und Jugendlichen beliebten Memes, Remixes etc. (deren Lizensierung praktisch unmöglich ist, die aber meist toleriert werden) erst gar nicht veröffentlicht werden können.
#SaveYourInternet – berechtigte Kritik oder Panikmache im Kinderzimmer?
Auffällig bei der Debatte über Artikel 13 ist unter anderem, dass das netzpolitische Thema auch – auf teilweise stark emotionalisierte Weise – bei Kindern und Jugendlichen angekommen ist. Wie kam es dazu? Eine entscheidende Rolle spielte dabei ein offener Brief der internationalen YouTube-Chefin Susan Wojcicki Ende Oktober. Darin schreibt sie unter anderem, dass Plattformen wie YouTube gezwungen sein könnten, nur eine kleine Anzahl von Inhalten großer Unternehmen zuzulassen. Es wäre aus YouTube-Sicht einfach zu riskant, Inhalte von kleinen Videomacher/innen zu präsentieren.
Dieser Aufruf mobilisierte zahlreiche YouTuber/innen öffentlichkeitswirksam gegen Artikel 13 aufzutreten. Botschaften dazu werden dabei im deutschsprachigen Raum neben dem Hashtag #SaveYourInternet auch unter #WirGegenArtikel13 geteilt. Meldungen von YouTuber/innen wie etwa „Mein Kanal wird gelöscht“ führten in der Folge bei Kindern und Jugendlichen zu großer Aufregung. Es kursieren sogar Kettenbriefe, die vom Ende des Internets im Jahr 2019 sprechen. Viele jungen Menschen haben daher tatsächlich Angst, dass es Plattformen wie YouTube, Instagram, TikTok etc. nicht mehr geben wird und die bei ihnen so beliebten Youtuber/innen verschwinden werden. Dies wird jedoch aufgrund von Artikel 13 sicherlich nicht der Fall sein. Gleichzeitig gibt es, abseits von Panik und wirtschaftlichen Interessen, die oben angeführten Bedenken gegen Artikel 13, der sich zum Beispiel schon der UN Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit David Kaye oder der Erfinder des World Wide Webs Sir. Tim Berners-Lee angeschlossen haben.
Die Debatte und Aufregung um Artikel 13 berührt einige zentrale netzpolitischen Fragestellungen: Wie soll das Urheberrecht und dessen Durchsetzung im digitalen Zeitalter geregelt werden? Welchen Akteur/innen im Internet kommt welche Verantwortung zu? Was bedeutet Freiheit im Internet? Etc. Dass junge Menschen sich für solche Fragen interessieren und sich über netzpolitische Themen Gedanken machen, ist sehr erfreulich. Die Diskussion um Artikel 13 kann daher ein guter Anlass sein, mit Kindern und Jugendlichen zu üben, die Aussagen von unterschiedlichster Seite kritisch zu bewerten, die dahinter liegenden Interessen zu erkennen und sich darauf aufbauend eine eigene Meinung zu bilden.
Originaltext von Saferinternet.at, lizenziert unter CC BY-NC 3.0 AT